6. Januar 2018

Der hat „Neger“ gesagt!

Um zu ermes­sen, wie weit wir schon im Sumpf der poli­ti­schen Kor­rekt­heit ver­sun­ken sind, reicht fol­gen­der Hin­weis: 1999 durf­te in der vom Staats­funk pro­du­zier­ten und aus­ge­strahl­ten Serie „Unser Leh­rer Dok­tor Specht“ der Schau­spie­ler Robert Atzorn ali­as Dr. Specht den Begriff „Neger“ ver­tei­di­gen und gegen die poli­ti­sche Kor­rekt­heit wet­tern, was das Zeug hält (https://www.youtube.com/watch?v=rom-gYPm-4w). Nur knapp 20 Jah­re spä­ter gerät aus­ge­rech­net in einer dezi­diert migra­ti­ons­kri­ti­schen und gegen die poli­ti­sche Kor­rekt­heit gerich­te­ten Par­tei ein Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter mas­siv unter Druck, weil einer sei­ner Mit­ar­bei­ter in einem Tweet den Sohn von Boris Becker „Halb­ne­ger“ genannt haben soll.

Dazu muß man wis­sen, daß sich der halb­wei­ße (oder halb­schwar­ze, sucht es Euch aus) Noah Becker dar­über beschwert hat, daß Ber­lin im Gegen­satz zu New York noch eine wei­ße Stadt ist. Über die­sen anti­wei­ßen Ras­sis­mus indes­sen regt sich bis­lang nie­mand aus unse­rer Par­tei auf. Als direk­te Ant­wort auf die Pro­vo­ka­ti­on von Noah Becker kann der „Halbneger“-Post als iro­ni­sie­ren­de, folg­lich nicht ganz ernst gemein­te Umkehr der anti­weiß-ras­sis­ti­schen Aus­sa­ge über Ber­lin ver­stan­den werden.

An die Adres­se von Noah Becker wür­de ich dann sagen: Wer aus­teilt, muß auch ein­ste­cken kön­nen. Oder sind nur Schwar­ze ras­sis­tisch angreif­bar, nicht auch Wei­ße? Genau die­sen Dop­pel­stan­dard, der Schwar­ze zu Unbe­rühr­ba­ren erklärt und Wei­ße belie­bi­gen Belei­di­gun­gen aus­lie­fert, gilt es kennt­lich zu machen und zu kri­ti­sie­ren. Der Tweet hat das ver­sucht, es ist aller­dings miß­glückt. Schwamm drüber!

Das wäre eine Mög­lich­keit, den Text zu ver­ste­hen. Dage­gen könn­te man immer noch ein­wen­den, daß der Begriff „Neger“ eben­so wie „Zigeu­ner“ kei­ne Belei­di­gung dar­stellt, son­dern eine neu­tra­le Bezeich­nung eines Dun­kel­häu­ti­gen. Ja, die Äch­tung die­ser Begrif­fe selbst scheint im Grun­de von einer heim­li­chen Ver­ach­tung der bezeich­ne­ten Sache her zu rüh­ren, führt sie doch dazu, daß ein neu­er Begriff gesucht wird, der dann aber nach eini­ger Zeit wie­der­um belei­di­gend erscheint, so, als fär­be die Sache auf ihn ab usw. Zuerst hieß es Krüp­pel, dann Behin­der­te, dann Anders­be­gab­te. Und auch „Anders­be­gab­te“ wur­de schon so oft mit bit­ter­bö­sen Unter­tö­nen ver­wen­det, daß es nicht mehr lan­ge dau­ert, bis die Zen­so­ren der Mei­nung sind, es müs­se anders hei­ßen. Wäre es da nicht bes­ser, wir wür­den die­se Flucht vor der Wirk­lich­keit ein­mal beenden?

Aber die Gna­de einer solch sach­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung wur­de Jens Mai­er nicht zuteil. Der Kon­text egal; der Umstand, daß es ein Mit­ar­bei­ter und nicht ein­mal er selbst war, egal; alles egal – die Meu­te, ja sogar Meu­then will ihn nicht unge­scho­ren davon­kom­men las­sen. „Der hat Neger gesagt, der muß weg!“ (Harald Schmidt).

Daß der dumm-bla­sier­te, die Mas­sen­ein­wan­de­rung lei­den­schaft­lich ver­tei­di­gen­de Till Schwei­ger Jens Mai­er für vogel­frei hält und meint, ihn straf­los einen „wider­li­chen Dreck­sack“ nen­nen zu kön­nen – geschenkt! Aber daß füh­ren­de Ver­tre­ter der eige­nen Par­tei, die ange­tre­ten ist, gegen eine zuneh­mend restrik­ti­ver auf­tre­ten­de poli­ti­sche Kor­rekt­heit die Spiel­räu­me des Sag­ba­ren wie­der zu erwei­tern, nun gegen Mai­er vor­ge­hen, ist ein Armuts­zeug­nis und eine Bank­rott­erklä­rung zugleich. Wer auf die poli­ti­sche Kor­rekt­heit schimpft und das Zen­sur­ge­setz von Hei­ko Maas kri­ti­siert, aber einen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten zum Man­dats­ver­zicht auf­for­dert, nur, weil er „Neger“ gesagt haben soll, den nen­ne ich einen Heuchler!

Unse­re eige­ne Par­tei zemen­tiert Sprech­ver­bo­te, unse­re eige­ne Par­tei ver­engt den Radi­us des Sag­ba­ren, denn nach der cau­sa Mai­er wird, ganz gleich wie sie aus­geht, es nie­mand wagen, noch ein­mal „Neger“ zu sagen. Genau­so wie nach der cau­sa Höcke nie­mand es wagen wird, den deut­schen Schuld­kult grund­sätz­lich zu hin­ter­fra­gen. Was Sie­fer­le mit sei­nem Finis Ger­ma­nia erreicht hat – eini­ge in der AfD machen es wie­der zunichte.

Dar­an muß sich grund­sätz­lich etwas ändern. Die AfD hat beacht­li­che Wahl­er­fol­ge errun­gen, aber noch nichts, noch rein gar nichts erreicht. Noch immer geht in die­sem Land alles in die fal­sche Rich­tung und unter Bei­hil­fe der AfD hat die poli­ti­sche Kor­rekt­heit an Schär­fe gewon­nen. Dies liegt zur Haupt­sa­che dar­an, daß gewis­se Krei­se die Angrif­fe von außen nut­zen, um damit gegen jene vor­zu­ge­hen, die sie für ihren Feind in der Par­tei hal­ten. Hät­te die AfD gegen die­se Angrif­fe auf Höcke, Mai­er, Pog­gen­burg und ande­re zusam­men­ge­stan­den, hät­te also der Feind gemerkt, daß er uns damit nicht ent­zwei­en kann, er hät­te die The­men fal­len gelas­sen und wir hät­ten ein Stück Dis­kurs­raum zurück­er­obert. So füh­ren wir nur Rück­zugs­ge­fech­te. Dafür aber sind wir nicht gewählt worden.

In unse­ren Wahl­er­geb­nis­sen liegt viel Ver­trau­ens­vor­schuß. Betei­li­gen wir uns nicht an einem poli­ti­schen Dis­kurs, der schweigt, wenn ein 15jähriges Mäd­chen von einem afgha­ni­schen Ein­dring­ling bes­tia­lisch ermor­det wird, und Hass­wel­len pro­du­ziert, wenn jemand „Neger“ sagt. Till Schwei­ger hält die afgha­ni­sche Mord­bes­tie nicht für einen „wider­li­chen Dreck­sack“, aber Jens Mai­er, weil er „Neger“ gesagt hat. Been­den wir die­ses Spiel! Plap­pern wir nicht die hoh­len Phra­sen von „Aus­län­der­feind­lich­keit“ nach, son­dern kri­ti­sie­ren wir die­se Begrif­fe und ihren Gebrauch. Das – und nichts ande­res – ist die Auf­ga­be der AfD.

Hans-Tho­mas Tillschneider