28. April 2016

Es knirscht im Gebälk

Der Vor­gang ist bemer­kens­wert: Aus­ge­rech­net die bei­den grü­nen Gal­li­ons­fi­gu­ren Cem Özd­emir und Vol­ker Beck – das Mus­ter­bei­spiel für gelun­ge­ne Inte­gra­ti­on und der füh­ren­de Schwu­len­re­prä­sen­tant – haben unter dem Titel “Den Islam ein­bür­gern” Ende 2015 ein Papier zur Islam­po­li­tik ver­öf­fent­licht, das die Erwar­tun­gen, die sein scha­ler Titel weckt, ent­täuscht und aus­nahms­wei­se die Aus­ein­an­der­set­zung lohnt. 
http://www.oezdemir.de/files/Bilder/Artikel/Oezdemir-Beck_Islamische-Verbaende-und-Religiongsgemeinschaft.pdf

Cem Özd­emir und Vol­ker Beck stel­len fest, was zwar jeder weiß, aber eta­blier­te Poli­ti­ker für gewöhn­lich nicht zur Spra­che brin­gen, näm­lich, daß die vier wich­tigs­ten Islam­ver­bän­de in Deutsch­land „natio­nal, poli­tisch oder sprach­lich, nicht aber bekennt­nis­för­mig geprägt sind“. Sie bil­den somit nicht die Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, als die sie aner­kannt sein wol­len, son­dern lands­mann­schaft­li­che ver­faß­te Ver­ei­ne mit poli­ti­scher Zielsetzung.
Das Papier weist fer­ner dar­auf hin, daß die „Isla­mi­sche Gemein­schaft Mili Görüs (IGMG)“ vom Ver­fas­sungs­schutz über­wacht wur­de, kri­ti­siert die poli­ti­sche Ori­en­tie­rung der „Tür­kisch-Isla­mi­schen Uni­on der Anstalt für Reli­gi­on (DITIB)“ an Anka­ra und ver­schweigt auch nicht die unap­pe­tit­li­chen Gerüch­te, wonach der “Zen­tral­rat der Mus­li­me (ZDM)” Kon­tak­te zu den Mus­lim­brü­dern und den Grau­en Wöl­fen unter­hal­ten soll.

Schließ­lich gibt das Papier zu beden­ken, daß die vier größ­ten Islam­ver­bän­de „nur einen Bruch­teil der Mus­li­me in Deutsch­land“ orga­ni­sie­ren. Die Alt­par­tei­en igno­rie­ren die­sen Umstand nor­ma­ler­wei­se, sei es aus Bequem­lich­keit sei es aus Oppor­tu­nis­mus, und betrach­ten die Islam­ver­bän­de als exklu­si­ve Ansprech­part­ner in Sachen Islam­po­li­tik, ganz so, als reprä­sen­tier­ten sie alle oder zumin­dest eine Mehr­heit der Mus­li­me. Nun machen aus­ge­rech­net die Grü­nen ein­mal in der gebo­te­nen Deut­lich­keit dar­auf auf­merk­sam, daß die Islam­ver­bän­de einen Ver­tre­tungs­an­spruch erhe­ben, der ihnen bei Lich­te bese­hen gar nicht zukommt.

Cem Özd­emir und Vol­ker Beck lie­fern aber nicht nur eine unge­schön­te Lage­be­schrei­bung, sie zie­hen dar­aus auch noch einen rich­ti­gen Schluß: „Vor die­sem Hin­ter­grund ist zum jet­zi­gen Zeit­punkt eine Pri­vi­le­gie­rung der vier gro­ßen mus­li­mi­schen Ver­bän­de weder reli­gi­ons- noch inte­gra­ti­ons­po­li­tisch begründ­bar.“ In einem Papier der Grü­nen ein Satz wie ein Peitschenschlag.

Auf die­ser Grund­la­ge wird dann die Ein­füh­rung des isla­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­richts in NRW als ein reli­gi­ons­ver­fas­sungs­recht­li­ches Pro­vi­so­ri­um pro­ble­ma­ti­siert – eine Kri­tik, die das Pro­jekt in einer sen­si­blen Pha­se trifft. Das gesam­te Kon­strukt war nur als zeit­lich begrenz­te Über­gangs­lö­sung gedacht, bis die Islam­ver­bän­de die Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen haben wür­den, um als Reli­gi­ons­ge­mein­schaft aner­kannt zu wer­den. Die Struk­tu­ren der Islam­ver­bän­de jedoch haben sich seit­dem nicht im gerings­ten geän­dert. Das Islam­pa­pier der Grü­nen insis­tiert dar­auf, daß hier ein Dilem­ma besteht.

Hans-Tho­mas Tillschneider

Nicht ohne Rele­vanz zum Ver­ständ­nis die­ses Vor­gangs ist der Umstand, daß es sich beim isla­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt um ein Pro­jekt han­delt, das Annet­te Scha­van (CDU) zusam­men mit ihrem Bru­der im Geis­te abra­ha­mi­ti­scher Öku­me­ne, Bülent Ucar, ange­sto­ßen hat – ein stramm ortho­do­xer Islam­ge­lehr­ter. Wer einen Ein­druck davon gewin­nen will, wie nahe sich bei­de ste­hen, mag die­ses pas­sa­gen­wei­se höchst pein­li­che Dop­pel­in­ter­view lesen: http://www.zeit.de/2011/16/C‑Interview-Islamstudien

Das Papier der Grü­nen tor­pe­diert ein Pro­jekt, das die Islam­ver­bän­de gefor­dert und die Mer­kel-Ver­trau­te Annet­te Scha­van ange­sto­ßen hat – eine auf den ers­ten Blick etwas para­dox anmu­ten­de Kon­stel­la­ti­on, die aber so ähn­lich auch schon 2013 zuta­ge getre­ten ist, als in Baden-Würt­tem­berg eine SPD-Inte­gra­ti­ons­mi­nis­te­rin sich von der Gülen-Bewe­gung distan­zier­te, wäh­rend aus­ge­rech­net die CDU das nicht rich­tig nach­voll­zie­hen konn­te (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.welchen-einfluss-hat-die-guelen-bewegung-ein-prediger-entzweit-die-politik.2dd1f099-825e-4de6-86cc-abb0e7a02341.html). Die Reak­ti­on der CDU hing wohl damit zusam­men, daß Rita Süss­muth damals im Bei­rat eines Gülen-Ver­eins in Ber­lin saß (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑87649490.html).
Dazu paßt, daß der „furcht­ba­re Jour­na­list“ (Bet­ti­na Röhl) Patrick Bah­ners die Islam­ver­bän­de in der ehe­mals kon­ser­va­ti­ven FAZ gegen die Kri­tik von Özd­emir und Beck ver­tei­digt (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/bundesparteitag-der-gruenen-cem-oezdemir-fuer-mehr-integration-13930056.html), wäh­rend die ten­den­zi­ell eher links ste­hen­de Süd­deut­sche Özd­emir recht gibt (http://www.sueddeutsche.de/politik/parteitag-der-gruenen-warum-eine-kritische-haltung-zum-islam-den-gruenen-gut-tut‑1.2748084).

Wäh­rend die CDU die Islam­ver­bän­de als Part­ner ent­deckt, erken­nen die Lin­ken lang­sam, was sie von den Mus­li­men trennt. Das Zweck­bünd­nis zwi­schen Lin­ken und Islam­ver­bän­den, das dar­auf beruh­te, daß die Lin­ken die Islam­ver­bän­de als Ramm­bock gegen die deut­sche Kul­tur­he­ge­mo­nie zu nut­zen ver­stan­den und die Islam­ver­bän­de einen Bünd­nis­part­ner brauch­ten, wird nun brü­chig, weil die Lin­ken mer­ken, daß ihre gesell­schafts­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen mit denen der Islam­ver­bän­de schlech­ter­dings nicht in Ein­klang zu brin­gen sind. An die Stel­le des tra­di­tio­nel­len Bünd­nis­ses zwi­schen Islam­ver­bän­den und lin­ken Par­tei­en tritt nun ein neu­es Bünd­nis zwi­schen einer wert­kon­ser­va­tiv ver­wa­sche­nen Mer­kel-CDU und den Islamverbänden.

Bezeich­nen­der­wei­se gibt das Özd­emir/­Beck-Papier den Islam­ver­bän­den das Epi­the­ton “kon­ser­va­tiv”, was aus Sicht der Grü­nen nur gering­schät­zig gemeint sein kann. Auf ent­lar­ven­de Wei­se ver­korkst ist auch die Fest­stel­lung, das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt habe “die indi­vi­du­el­le Reli­gi­ons­frei­heit von Mus­li­mas, die glau­ben, ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gung nach ein Kopf­tuch tra­gen zu müs­sen, durch ein wich­ti­ges Urteil geschützt”. So erklärt man poli­tisch kor­rekt, daß man Frau­en, die zum Schlei­er grei­fen, für arme Irre hält, die das bes­ser blei­ben las­sen sollten.

Die CDU wie­der­um, die meint Wäh­ler unter den Mus­li­men gewin­nen zu müs­sen und sich des­halb mit den Islam­ver­bän­den ein­läßt, beruft sich auf die kon­ser­va­ti­ve Grund­hal­tung vie­ler Mus­li­me – ein haar­sträu­ben­der Unsinn, weil der Islam auf ganz ande­re Wei­se “kon­ser­va­tiv” ist als wir und es kei­ne die Kul­tu­ren über­stei­gen­de Kon­ser­va­ti­vi­tät gibt. Nicht nur ein lin­kes, son­dern auch ein im deut­schen Sin­ne kon­ser­va­ti­ves Gesell­schafts­bild ist mit isla­mi­schen Lebens­vor­stel­lun­gen unver­ein­bar. Woll­ten wir unse­re Lebens­art und die der Mus­li­me unter dem­sel­ben Begriff “kon­ser­va­tiv” zusam­men­fas­sen, wür­den wir die­sem Begriff sei­nen letz­ten Sinn rau­ben und ihn voll­ends zu einer unbrauch­ba­ren Wort­hül­se her­ab­set­zen – aus Sicht der CDU mög­li­cher­wei­se sogar ein erwünsch­ter Nebeneffekt.

Für die AfD bedeu­tet die­se Ver­schie­bung fol­gen­des: Ers­tens hat sich die CDU als Bünd­nis­part­ner in der Islam­po­li­tik voll­kom­men dis­kre­di­tiert. Indem sie sich als neu­er Tür­öff­ner für die Islam­ver­bän­de geriert, ist sie sogar der Haupt­geg­ner. Zwei­tens soll­ten wir unse­re islam­po­li­ti­schen Kon­zep­te, die sich teil­wei­se mit der Kri­tik von Özd­emir an den Islam­ver­bän­den über­schnei­den im Ver­weis eben dar­auf ver­tei­di­gen: Was die Grü­nen dür­fen, darf die AfD erst recht! Drit­tens bie­tet uns die Kri­tik der Grü­nen an den Islam­ver­bän­den die Mög­lich­keit, unse­re eige­ne Islam­kri­tik zu pro­fi­lie­ren und zu schär­fen. Indem nun die Lin­ken end­lich zu dem islam­kri­ti­schen Stand­punkt fin­den, der ihrer Welt­an­schau­ung ange­mes­sen ist, kön­nen wir unse­re Islam­kri­tik davon abhe­ben. Viel zu lan­ge war unter dem Begriff “Islam­kri­tik” bei­sam­men, was nicht zusam­men gehört. Was nun beginnt, sind Klä­rungs- und Differenzierungsprozesse.

Wir soll­ten deut­lich machen: Wir kri­ti­sie­ren die Islam­ver­bän­de nicht, weil sie das mul­ti­kul­tu­rel­le Mit­ein­an­der stö­ren, son­dern weil wir an unse­rer christ­lich gepräg­ten deut­schen Leit­kul­tur fest­hal­ten. Unser Ziel ist kein mul­ti­kul­ti­kom­pa­ti­bler Islam, son­dern ein­fach, daß der Islam in Deutsch­land sich unse­rer Kul­tur­ho­heit fügt. Wie er das bewerk­stel­ligt und vor sich selbst recht­fer­tigt, ist durch­aus sei­ne Sache. Wir set­zen nur die Gren­zen, das aller­dings unmiß­ver­ständ­lich. Das wäre die Stoß­rich­tung einer neu­en, wahr­haft kon­ser­va­ti­ven Islam­kri­tik, die wert dar­auf liegt, nicht mehr mit einer genu­in lin­ken Islam­kri­tik ver­wech­selt zu wer­den. Dar­in liegt kei­ne Spal­tung und Schwä­chung, son­dern eine Stär­kung der Islam­kri­tik, die nun fle­xi­bler agie­ren und gleich­sam von zwei Sei­ten den Wider­stand auf­bau­en kann, den die Islam­ver­bän­de in Deutsch­land so drin­gend benötigen.

Hans-Tho­mas Tillschneider