24. Februar 2021

Nicht wie die Grünen – Weshalb Vosgerau der AfD schlecht rät.

Der Ver­gleich der AfD mit den Grü­nen ist ver­braucht, und die Pro­gno­se, daß die Rea­los immer gewin­nen, hät­te einer etwas aus­führ­li­che­ren Begrün­dung bedurft als eines dahin­ge­wor­fe­nen „liegt in der Natur der Sache“. Aber dann noch der AfD lang und breit zu emp­feh­len, was sie tun müs­se, damit ein­tre­te, was angeb­lich ohne­hin ein­tre­ten wer­de, ist die Voll­endung einer Ober­fläch­lich­keit, wie sie nur Staats­recht­ler an den Tag legen kön­nen, die auch mal Poli­ti­ker spie­len wol­len. Kurz: Ulrich Vos­ger­aus jüngs­ter Arti­kel in der Jun­gen Frei­heit ist ein Ärger­nis, nach­zu­le­sen hier: https://jungefreiheit.de/kultur/literatur/2021/afd-und-verfassungsschutz/.

Abge­se­hen davon, daß die Geschich­te sich nicht wie­der­holt und sich der Erkennt­nis­wert des gän­gi­gen AfD/­Grü­nen-Ver­gleichs in Gren­zen hält, ist das, was Vos­ger­au als ohne­hin Ein­tre­ten­des unbe­dingt errei­chen will, genau das, was ver­hin­dert wer­den müß­te: Daß die AfD den glei­chen Ent­wick­lungs­gang nimmt wie die Grünen!

Auf AfD-Ver­hält­nis­se über­tra­gen wür­de ein Nach­voll­zug des Schick­sals der Grü­nen bedeu­ten, daß wir unse­ren Wider­stand auf­ge­ben, indem wir eine zur herr­schen­den Ideo­lo­gie kom­pa­ti­ble und also not­wen­di­ger­wei­se unauf­rich­ti­ge Vari­an­te der AfD-Ideo­lo­gie ent­wi­ckeln, eine Art AfD-Dop­pel­denk, eine rech­te Ent­gren­zungs- und Unter­drü­ckungs­ideo­lo­gie zugleich. So wie die Grü­nen von ech­tem Umwelt­schutz auf die CO2-Ideo­lo­gie ein­ge­schwenkt sind und ihre kon­ser­va­ti­ven Ideo­lo­ge­me zuguns­ten aggres­si­ver Gen­der- und Min­der­hei­ten­po­li­tik ent­sorgt haben,  könn­te die AfD ihren Geschmack an der Coro­na-Poli­tik fin­den, weil ja die Gren­zen geschlos­sen wer­den, den Islam haupt­säch­lich dafür kri­ti­sie­ren, daß er LSBT­TI-feind­lich ist, und Mul­ti­kul­ti befür­wor­ten, solan­ge alle Mas­sen­ein­wan­de­rer nur brav arbei­ten und Steu­ern zah­len. Etwas in die­ser Art wür­de wohl her­aus­kom­men, wenn wir das Schick­sal der Grü­nen nach­voll­zie­hen und von der Alter­na­ti­ve zur Ergän­zung wür­den, um auch ein­mal in der Minis­ter­li­mou­si­ne fah­ren zu dür­fen. Ein Hor­ror­sze­na­rio, das glück­li­cher­wei­se mit­nich­ten so zwangs­läu­fig bevor­steht, wie Vos­ger­au behauptet!

Dies schon allein des­halb, weil der Weg zu Macht und Pfrün­de, mit dem Vos­ger­au lockt, über gute Wahl­er­geb­nis­se führt, und die wer­den in der AfD immer noch eher von denen errun­gen, gegen die er sich wen­det, als von denen, auf die er setzt. Die aktu­el­le Coro­na-Poli­tik etwa wird zu einer wei­te­ren Ero­si­on der Alt­par­tei­en und einem Erstar­ken gera­de jener Tei­len der AfD füh­ren, die in die­ser Fra­ge genau den grund­sätz­li­chen Gegen­stand­punkt ver­tre­ten, den die Bür­ger in ihrer wach­sen­den Wut auf die Coro­na-Poli­tik mehr und mehr nachfragen.

Alles, was die grund­sätz­li­che Alter­na­ti­ve in ihrem Sie­ges­zug an den Wahl­ur­nen noch auf­hal­ten kann, wäre ein Par­tei­ver­bot, was die Ein­stu­fung der Par­tei als rechts­extrem vor­aus­setzt. Die Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz als ers­ter Schritt auf die­sem Weg ist eine Gefahr, und des­halb ist nicht alles falsch, was Vos­ger­au emp­fiehlt, um sein fal­sches Ziel zu errei­chen. Falsch aber ist, daß er for­dert, „sämt­li­che Anstren­gun­gen“ der Ver­mei­dung einer Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz unter­zu­ord­nen. Ja, die Beob­ach­tung soll­te ver­mie­den wer­den, weil sie die Par­tei iso­liert und von wich­ti­gen Per­so­nal­res­sour­cen abschnei­det, und dafür soll­ten auch gro­ße Anstren­gun­gen unter­nom­men wer­den.  Aber Vos­ger­au und ande­re tun so, als sei es die poli­ti­sches Haupt­auf­ga­be der AfD, die Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz zu vermeiden.

Wenn dem so wäre, dann wäre es Bes­te, wir wür­den die Pas­sa­gen zu Ein­wan­de­rung, deut­scher Iden­ti­tät und Islam aus dem Grund­satz­pro­gramm der AfD neh­men und alle, die im Gut­ach­ten des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz mehr als drei­mal erwähnt wer­den, aus der Par­tei wer­fen. Man hät­te so dem Ver­fas­sungs­schutz jede Angriffs­flä­che genom­men, aber frei­lich unse­ren Wäh­lern auch jeden Grund, sich noch für die AfD zu ent­schei­den. Die­se Panik ist min­des­tens genau­so gefähr­lich wie das leicht­sin­ni­ge Abtun der Gefah­ren, die in einer öffent­lich ver­kün­de­ten Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz lie­gen. Anders gesagt: Eine AfD, die kei­ne Alter­na­ti­ve mehr ist, nützt uns auch nichts, wenn sie nicht ver­bo­ten ist. Um nicht in fehl­ge­lei­te­ter Panik das Kind mit dem Bad aus­zu­schüt­ten, bedarf es eines poli­ti­schen Ori­en­tie­rungs­punk­tes, den am ehes­ten noch der von Vos­ger­au arg geschol­te­ne Josef Schüßlb­ur­ner lie­fern kann (https://antaios.de/buecher-anderer-verlage/aus-dem-aktuellen-prospekt/106996/studie-39-scheitert-die-afd).

Zuge­ge­ben: In Schüßlb­ur­ners Stu­die fal­len kri­ti­sche Sät­ze zum Grund­ge­setz, die im ers­ten Moment irri­tie­ren. Was irri­tiert, regt aber zum Den­ken an. Schüßlb­ur­ner ruft uns die his­to­ri­schen Ent­ste­hens­be­din­gun­gen des Bon­ner Grund­ge­set­zes ins Bewußt­sein und ver­mit­telt uns damit eine erkennt­nis­för­dern­de Distanz, die uns gegen frag­wür­di­ge Abso­lut­heits­an­sprü­che und schäd­li­che Über­hö­hun­gen immunisiert.

Umge­kehrt steckt in Vos­ger­au mehr Schüßlb­ur­ner als ihm wohl lieb ist, was immer dann deut­lich wird, wenn Vos­ger­aus Kri­tik an Schüßlb­ur­ner sich in Selbst­wi­der­sprü­che ver­hed­dert. Vos­ger­au begrüßt das onto­lo­gi­sche und nicht nur rechts­po­si­ti­vis­ti­sche Volks­ver­ständ­nis des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts anno 1985, führt dann aber gegen Schüßlb­un­ers Demo­kra­tie­be­griff ein Demo­kra­tie­ver­ständ­nis ins Feld, wonach Demo­kra­tie schlicht der Inbe­griff „der­je­ni­gen Rechts­vor­schrif­ten“ sei, „die die Mit­wir­kungs- und Betei­li­gungs­rech­te sei es des Staats­vol­kes, sei es der betrof­fe­nen Indi­vi­du­en zum Gegen­stand haben“ – posi­ti­vis­ti­scher geht’s wohl nicht mehr. Vos­ger­au ahnt etwas und fügt an, daß die Fra­ge, ob die­se Regeln „ins­ge­samt noch die Bewer­tung als demo­kra­tisch ver­die­nen“, damit nicht beant­wor­tet sei, doch der Selbst­wi­der­spruch, in den er sich gesetzt hat, bleibt.

Das von Schüßlb­ur­ner beklag­te Defi­zit des Grund­ge­set­zes, nicht durch eine Volks­ab­stim­mung legi­ti­miert wor­den zu sein, will Vos­ger­au mit dem Ein­wand aus­räu­men, daß, selbst wenn es eine Volks­ab­stim­mung gege­ben hät­te, heu­te nie­mand mehr von denen, die damals gewählt hät­ten, noch am Leben wäre. Dar­auf aber kann es doch nicht ernst­haft ankom­men, solan­ge das deut­sche Volk, das die­se Legi­ti­ma­ti­ons­leis­tung erbracht hät­te, immer noch da wäre – eine Enti­tät, an der auch Vos­ger­au erklär­ter­ma­ßen fest­hal­ten will.

Nicht das GG sei das Übel, son­dern sei­ne ver­zer­ren­de Aus­le­gung durch die 68er, wen­det Vos­ger­au gegen Schüßlb­ur­ner ein, und erklärt Schüßlb­ur­ners Posi­ti­on damit, daß zu des­sen Stu­di­en­zei­ten die Ver­gäng­lich­keit des Ver­fas­sungs­rechts betont und begrüßt wur­de. Daß die­ses Bewußt­sein der Ver­gäng­lich­keit des Ver­fas­sungs­rechts, das einen vor Über­hö­hun­gen aller Art schützt, auf­ge­ge­ben wur­de, ist dann aber wohl doch eine Begleit­erschei­nung eben jenes Aus­le­gungs­wan­dels, den auch Vos­ger­au beklagt und dem er abhel­fen will.

Zu Vos­ger­aus stren­ger Unter­schei­dung zwi­schen dem Text des GG und der ver­zer­ren­den Aus­le­gung schließ­lich wäre zu sagen: Eine Aus­le­gung, die von fast allen geteilt wird, wird irgend­wann nicht mehr als Aus­le­gungs­sa­che wahr­ge­nom­men, son­dern wird Teil des Tex­tes selbst. Das GG ist in den Hän­den der furcht­ba­ren 68er-Juris­ten durch eine völ­lig ent­gren­zen­de und maß­los über­hö­hen­de Aus­le­gung der Begrif­fe „Men­schen­wür­de“, „Demo­kra­tie“ und „Gleich­heit“ mutiert. Die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Text und Aus­le­gung hilft dann kaum noch wei­ter. Die­ser Pro­zeß hat die Poli­tik­wis­sen­schaft voll­stän­dig erfaßt und ist auch schon in die Rechts­wis­sen­schaft ein­ge­drun­gen. Wie stark er die Recht­spre­chung erfaßt hat, wis­sen wir noch nicht. Die Kla­gen der AfD gegen den Ver­fas­sungs­schutz haben auch den Zweck, eben dies auf­zu­klä­ren. Vos­ger­au setzt auf die Gerich­te. Das ist brav und red­lich, und wir soll­ten es ihm dar­in gleich­tun. Für den Fall aber, daß die Gerich­te die fal­schen Aus­le­gun­gen zemen­tie­ren, hat er kei­ne Ant­wort. Eine unre­flek­tier­te Grund­ge­setz­ido­la­trie hilft dann jeden­falls nicht weiter.

Genau­so falsch aber wäre es nun umge­kehrt, Josef Schüßlb­ur­ner gegen Diet­rich Murs­wiek zu set­zen, der die AfD in einem Gut­ach­ten gegen die Vor­wür­fe des Ver­fas­sungs­schut­zes ver­tei­digt hat. Wes­halb die­se Aus­schließ­lich­keit? Vos­ger­au hät­te bei Schüßlb­ur­ner mehr Anknüp­fungs­punk­te als Streit­punk­te fin­den kön­nen, wenn er sich nicht in den Kopf gesetzt hät­te, in der Jun­gen Frei­heit eine ver­nich­ten­de Kri­tik abzu­feu­ern. Ehr­li­ches und tief­ge­hen­des Inter­es­se an einer Stra­te­gie­de­bat­te sieht anders aus. Auch wenn Vos­ger­au hier eine gro­ße Wider­sprüch­lich­keit auf­bau­en will: Murs­wiek und Schüßlb­ur­ner kön­nen sich in prak­ti­scher Hin­sicht gut ergänzen.

Wäh­rend Schüßlb­ur­ner emp­fiehlt, in der Grau­zo­ne des Inter­pre­tier­ba­ren bis an den Rand des gera­de noch Zuläs­si­gen zu gehen, Gren­zen aus­zu­rei­zen und so die Spiel­räu­me des Sag­ba­ren zu erwei­tern, emp­fiehlt Murs­wiek, sich umge­kehrt inner­halb der Zone des Aus­leg­ba­ren, wo die Zwei­fels­re­geln zu grei­fen begin­nen, auf der ganz siche­ren Sei­te zu hal­ten und auch das­je­ni­ge zu mei­den, was bei kor­rek­ter Aus­le­gung ver­fas­sungs­freu wäre, aber unter einem ver­zerr­ten Ver­fas­sungs­ver­ständ­nis eben auch gegen uns ver­wen­det wer­den kann.

Schüßlb­ur­ner zeigt uns einen Weg, die Fehl­ent­wick­lun­gen und Ver­schie­bun­gen die­ser Repu­blik seit 1968 zu kor­ri­gie­ren und wie­der dis­kur­si­ven Bewe­gungs­raum zurück­zu­ge­win­nen. Murs­wiek mit sei­ner Stra­te­gie der kal­ku­lier­ten Über­vor­sicht bie­tet uns die bes­se­ren Chan­cen vor Gerich­ten, von denen wir nicht genau wis­sen, wie stark sie durch die Fehl­ent­wick­lun­gen seit 1968 ange­grif­fen sind. Die­se Stra­te­gie lie­fe aber, wenn wir sie nicht nur befol­gen, son­dern ver­in­ner­li­chen wür­den, auf eine gefähr­li­che Selbst­be­schrän­kung hin­aus. Der Frei­heits­raum, den wir nicht abschrei­ten und ver­tei­di­gen, wür­de wei­ter schrump­fen. Wir wür­den uns dem Unrecht beugen.

Aktu­ell befin­den wir uns in einer Pha­se, in der die Eta­blie­rung der AfD und ihr ers­ter gro­ßer Wachs­tums­schub abge­schlos­sen ist und – erwart­bar – eine hef­ti­ge Gegen­re­ak­ti­on pro­vo­ziert hat.  Wir sind in der Defen­si­ve. Wer in der Defen­si­ve han­delt, als sei er in der Offen­si­ve, wird ver­nich­tet. Kei­ne Not aber besteht dar­in, Schüßlb­uner gegen Murs­wiek aus­zu­spie­len, denn nach die­ser Defen­si­ve kommt wie­der eine Offen­si­ve. Also: Lest Euren Schüßlb­ur­ner und lernt Eure Lek­ti­on, aber han­delt – im Zwei­fel – nach Murswiek!

H.-Th.Tillschneider